Heute vor drei Monaten habe ich über einen Alltag geschrieben: Alltag: Ein Januarmittwoch. Da könnte ich doch wieder einen Artikel schreiben dachte ich und das mache ich jetzt. Fotos gibt’s heute aber keine.
Zur Zeit wache ich immer recht früh auf, da die Sonne schon um fünf aufgeht und das Licht es immer irgendwo schafft, sich an meinen schwarzen Schlafzimmervorhängen vorbeizuschmuggeln. Aber aufwachen heißt ja nicht aufstehen und so verlasse ich das Bett gegen sieben. Ich schaue aus dem Fenster und stutze. Nicht, weil blauer Himmel ist, das haben wir gerade öfters, sondern weil auf Terrasse und Rasen neuer Schnee liegen. Ein Wintereinbruch? Wohl eher nicht, denn die überraschenderweise in der Nacht gefallenen Flocken reichen nicht ansatzweise aus, um den Boden wieder zu bedecken und die Sonne beginnt schon, sie wieder wegzuschmelzen.
Frühstück: Leider ist mein geliebtes A-Fil alle, welches ich immer statt Milch zum Müsli esse. Aber zum Glück ist noch Graved Lachs und Toast da, ein guter Ersatz. Viertel vor acht fahre ich in die Stadt. Rechts—links—rechts und ich bin auf dem Näsuddsvägen. Links die Bucht Killingörviken und bei der Brücke rechts der kleine Bootshafen. Heute war der erste Tag, wo das Eis im Bootshafen so weit zurückgegangen ist, dass ich dort mein Kajak einsetzen und aufs Meer fahren könnte. Der Bootshafen ist keine zehn Gehminuten von mir entfernt und ich hätte schon Lust, jetzt das windstille Sonnenwetter zu einer Paddeltour zu …
… wo bin ich, ach ja, auf dem Weg zur Arbeit. Ich bin als erster da, kurz darauf trudeln meine Kollegen ein. Ich bin bei einigen Meetings dabei, schreibe Migrationsskripte, verbessere APIs und wandele Exceptions in json um – was man eben so als Programmierer tut. Ein kurzes gemeinsames Wer-macht-gerade-was-Meeting, welches wir jeden Tag machen (ein bisschen wie Scrum) und dann geht es zum Mittagessen.
Verlassen wir die Welt der komischen Programmiererfachausdrücke und widmen uns dem „Dagens Lunch“, dem Essen des Tages, welches es mittags in jedem Restaurant gibt. Für 80 bis 100 Kronen bekommt man meistens ein warmes Buffet mit zwei Gerichten, Salat, Brot, Wasser oder Zuckergetränk und anschließend Kaffee. Mit dem „Allstar“ treffen wir heute allerdings eine schlechte Wahl: Die Küche scheint völlig überfordert, die meisten Schüsseln sind leer, eine Mitarbeiterin weiß nicht einmal richtig, was es gibt und das Essen selbst ist auch eher unter der Rubrik „Macht satt“ als „Schmeckt gut“ einzuordnen. Wir haben schon einige schlechte Erfahrungen im Allstar gemacht und waren ewig nicht mehr da. Unsere Idee, diesem Restaurant heute mal wieder eine Chance zu geben, mag ehrenhaft gewesen sein, aber leider nicht von Erfolg gekrönt.
Nach dem Mittagessen gehe ich nicht mit den anderen ins Büro zurück, sondern statt dessen zum „Skatteverket“, dem Finanzamt. Dort habe ich einige Fragen, unter anderem zur Abschreibung von Wirtschaftsgütern, die ich auch schnell beantwortet bekommen habe. Doch dann stelle ich noch eine Frage zum Thema Moms, der schwedischen Mehrwertsteuer und alleine die bloße Benutzung des Wortes „Moms“ bringt alle Berater zum Erbleichen. Ich bekomme aber wenig später ein Telefon in die Hand gedrückt und darf mit einem Experten reden, der mit meine Fragen beantwortet, auch wenn ich mit einer Antwort sehr unzufrieden bin. Aber so ist das eben mit den Steuersystemen.
Wieder im Büro sitze ich wieder am Rechner (etwa ein Drittel der Zeit stehe ich, denn mein Tisch ist höhenverstellbar), doch heute gehe ich schon um Schlag halb fünf und fahre mit dem Auto auf die andere Flussseite. Dort habe ich eine Verabredung mit T. bei sich zu Hause.
Nächste Woche werden es vier Jahre sein, die ich in Schweden lebe. Eine recht lange Zeit. Auch, was meine Möglichkeiten, die Sprache zu lernen, angeht. Ich will mich nicht beschweren, denn ich verstehe fast alles, kann problemlos Bücher lesen und auch alles sagen, was ich will. Aber ich fühle mich immer noch ein bisschen ungelenk und tollpatschig und möchte einfach weiterkommen. Und so habe ich T. vor einiger Zeit gefragt, ob er sich vorstellen könne, mir Schwedischunterricht zu geben. Und das konnte er. Heute ist das erste Treffen, noch weniger Unterricht als ein gemeinsames Ausloten, was ich für Wünsche und Ziele habe. Wir werden wohl viel mit Aussprache arbeiten, denn Vokabeln und Grammatik fand er schon recht gut. Ich freue mich sehr, dass ich jetzt mit der Sprache wieder etwas weiterkomme.
Nebenbemerkung: Wenn ich mit dem Schwedischen zufrieden bin, dann will ich bei T. russisch lernen, denn das kann er auch fließend. Er war es auch, der unserem Chor gezeigt hat, wie man den Rachmaninov richtig ausspricht.
Danach fahre ich zur Musikschule, denn dort ist von sechs bis sieben Oktettprobe und dann direkt anschließend Probe mit dem Kammerchor bis neun. Tja, Oktettprobe – auch so ein Ding …
Am zehnten Mai wird in Skellefteå ein Chorereignis namens „Körmanifestationen“, wo tausend Chorsänger zusammen singen und so ein gemeinsames Konzert geben, stattfinden. Teilweise mit Band, teilweise „a capella“, also ohne instrumentelle Begleitung. Und da bin ich vor ein paar Wochen gefragt worden, ob ich Oktett bei der Körmanifestation mitsingen wollte. Ich dachte – nun ja, ein kleiner solistischer Teil, wo jede Stimme doppelt besetzt ist, warum nicht. Später ging es um Probentermine und ich fragte, welches Stück ich denn üben soll. „Na, alle!“, war die Antwort. „!?!??!“, dachte ich, denn manchmal verstehe ich ja auch etwas nicht ganz richtig. Es stellte sich dann heraus, dass wir acht Sänger Mikrophone bekommen und mit unserem Gesang die tausend anderen Chorsänger beschallen, damit die wissen, wo es langgeht. Meine ersten Gedanke waren: „Olaf, Du blöder Idiot! Warum hast Du nicht vorher gefragt, worum es geht! Was hast Du da schon wieder angenommen! Wann sollst Du dafür üben? Alle hören Deine schlechte schwedische Aussprache! Wann lernst Du mal, Nein zu sagen?!“ Die erste Oktettprobe vor zwei Wochen hat allerdings so einen Spaß gemacht, dass ich mich jetzt freue, dabei sein zu dürfen. Und – Synergieeffekt nennt man so etwas ja heute – die Aussprache kann T. nächste Woche bei meiner nächsten Schwedischstunde verbessern. Prima das!
Drei Stunden Chorprobe, das macht Spaß, ist aber auch anstrengend, zumal mein Abendbrot nur aus einer Banane bestand. Um kurz nach neun sitze ich wieder im Auto, dieses Mal auf dem Nachhauseweg nach Skelleftehamn. Blaue Stunde, im Rückspiegel sehe ich noch die Dämmerungsfarben und vor mir hängt honiggelb ein riesiger Vollmond dicht über dem Horizont. Nur einen Zwischenstopp mache ich noch, ehe ich zu Hause bin: Der Lebensmittelladen Coop in Ursviken hat bis zehn Uhr geöffnet und dort bekomme ich mein geliebtes A-Fil. Nicht nur für das nächste Frühstück, sondern auch für ein spätes zweites Abendessen.
„Um Himmels Willen!“, frage ich mich – mache ich wirklich immer so viel? „Nein, zum Glück nicht – glaube ich.“ beantworte ich mir diese Frage, denn es gibt auch Tage, wo ich nur arbeiten gehe und dann abends noch eine DVD schaue oder ein bisschen Klavier spiele.
Ich nehme mir jetzt vor, genau in einem Monat wieder vom Alltag zu schreiben. Vielleicht klappt es dann, denn zumindest bis jetzt ist „Müllabfuhr“ mein einziger Kalendereintrag für den 15. Mai.