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Nordwärts

Vom Leben in Skelleftehamn

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Huflattichblüte

Heute hatte ich Geburtstag. Deswegen habe ich zu Hause gearbeitet und dann, weil die Arbeit es erlaubte, einen halben Tag Urlaub genommen. Schön, wenn so etwas wie bei uns auf der Arbeit ohne Absprache geht. Und weil das Wetter recht schön war, bin ich einer meiner Lieblingsbeschäftigungen nachgegangen: Ziellos draußen in der Natur herumlaufen. Die Straße entlang, die kleine Abkürzung und den Weg in den Wald hinein. Nach einer kleinen Weile kommt dann links immer eine kleine Felslandschaft. Da das ein Südhang ist, ist der meiste Schnee schon längst weggetaut.

In den schattigen Vertiefungen hält sich noch ein bisschen Altschnee

Auf den Felsen umher, dann nach rechts den Hang herunter über den trockenen Graben auf die Straße. Da leuchtet es gelb! Hurra, der Huflattich (schwedisch Tussilago) blüht! Die erste Frühlingsblume hier in Skelleftehamn, drei Wochen früher als normal (2011, 2012, 2013).

Das erste Tussilago 2014

Über die Straße auf die nasse und lehmige Brachfläche an der Bucht. Und dort blüht noch eine Blüte. Lange knie ich mit der Kamera und dem Makroobjektiv, ehe mir ein Bild gefällt.

Tussilago

Weiter über die matschigen Brachflächen und dann die kleine Straße bis zur Kurve und dann geradeaus. Und dort ist noch mehr Huflattich.

TussilagoknospeTussilago im Profil

Tussilago-GruppenbildUnd noch mehr … . Nach einigen „Huflattichportraits“ und „-gruppenbildern“ verlasse ich die schlammigen Flächen und betrete wieder den Wald. Dort scheint es kühler, denn dort liegt teilweise noch Eis und Schnee. Ich war länger unterwegs als beabsichtigt und so mache ich die letzten Fotos in der Abenddämmerung gegen viertel vor acht.

Altschneefeld auf einer LichtungEis und LehmSpiegelung in einer großen EispfützeAbenddämmerung

Eisschollen auf dem Skellefteälven

Wenn ich mit dem Auto zur Arbeit in die Stadt fahre, ist meistens der Hello-Future-Parkplatz noch frei. Ist er schon besetzt, dann fahre ich zur Bonnstan, dem alten Kirchendorf, denn dort kostet das Parken im Gegensatz zum Zentrum nichts. Von da ist der Weg zum Büro 10-15 Minuten und vielleicht noch zwei Minuten länger, wenn man unten am Fluss entlangläuft. Aber das lohnt sich oft.

Heute trieben große Eisschollen den Skellefteälven hinunter und Enten, Gänse und Singschwäne paddelten auf dem Fluss, letztere laut trötend.

Eisschollen auf dem FlussEisschollen auf dem Fluss

Morgen wird mich ein etwas anderes Bild erwarten, denn da fliege ich nach Stockholm. Der Flieger geht leider schon um 6:30. Dann habe ich morgen zwei Meetings und bleibe noch den Samstag da, ein bisschen durch die Stadt schlendern und Antiquariate, Kajak- und Fotoläden unsicher machen. Aber jetzt schnell ins Bett, die Nacht wird kurz.

Ein Samstag im frühlingshaften Stockholm

4:50 klingelte der Wecker am Freitag. Nicht der beste Anfang für einen Tag, aber ich musste den 6:30-Flieger nach Stockholm erwischen, wo ich zwei lange Meetings hatte.

Die sind auch gut gelaufen, dennoch hatte ich am Freitag Abend schon die Schnauze von Stadt ein bisschen voll. Ich war ohnehin platt und müde; nach einer nervigen mittäglichen Toilettensuche in Stockholms Zentrum, die einer kleinen Odyssee glich und eigentlich fast einen eigenen Artikel wert ist, war es am Abend der Verkehrslärm und das Gegröle der schon früh betrunkenen Jungmännerhorden, die mich genervt haben. Dass ich dann kurz nach dem Einschlafen von dem Geknalle einiger Explosionen aus dem Schlaf gerissen wurde, machte die Sache nicht besser. Ich nehme an, dass es nur einige von Silvester übrig gebliebene Kanonenschläge waren, deren Explosion durch die Straßen Stockholms hallte, denn am nächsten Tag stand die Stadt noch.

Und wartete mit wunderschönem Frühlingswetter auf. Es war zwar am Morgen noch leicht frostig, aber was macht das schon, wenn sich ein wolkenlos blauer Himmel über Stockholm ausbreitet. Und so war ich fast den ganzen Tag in Stockholm zu Fuss unterwegs und meine Füße sind heute immer noch etwas beleidigt, denn ich habe sie gestern bestimmt 25 Kilometer über die Inseln Norrmalm, Kungsholmen, Långholmen, Södermalm, Stadsholmen und Helgeandsholmen geschickt.

Mein erster Weg führte am Nordufer der Insel Kungsholmen westwärts nach Solna, denn dort gibt es ein Kajakgeschäft. Es ist einfach toll, dass man in Stockholm überall am Wasser entlanglaufen kann und viele Stockholmer nutzen die zahlreichen Uferwege für ihre morgendlichen Joggingrunden. Überall blühen Krokusse, Zilla und kleine Osterglocken; der Frühling ist hier natürlich dem Norden um Wochen voraus.

Ein klarer Aprilmorgen in Stockholm

Das „Bonnierhuset“Karlbergs schlossFundplatz für HandschuheKopflos?

Toll, mal in einem richtigen Kajakgeschäft zu sein, so etwas ist in einer Stadt wie in Skellefteå undenkbar. Ich wollte gerne einen Trockenanzug kaufen, aber der eine war nicht in meiner Größe da und der andere taugte meiner Meinung nach nichts. Da die meisten anderen Kajakgeschäfte hauptsächlich vom Verleih leben und daher nur die Sommermonate geöffnet haben, muss ich den Kauf wohl auf später verschieben.

Badeplatz am UlvsundasjönKajakgeschäft in Solna

Ich bin dann wieder ostwärts ins Zentrum gelaufen und habe vor allem Buch-, Foto- und Outdoorläden gesucht. Das große Shopping-Ereignis hat sich dann aber auf ein paar DVDs und zwei heruntergesetzte Bücher über Fotografie beschränkt.

In Stockholm gibt es viele, viele TreppenSelbstportrait

KungsholmstorgNach einer kurzen Pause im Hotel bin ich noch einmal losgelaufen. Dieses Mal am Südstrand von Kungsholmen, den „Norr Mälarstand“ in Richtung Westen zur „Västerbron“-Brücke. Auf dem Weg bin ich auch die Straße namens Kungsholmstorg gelaufen. Solche Straßen gibt es einige in Stockholm und sie sind, finde ich, ein Traum für Fußgänger, die auf breiten von Bäumen umrahmten Kieswegen in der Mitte laufen dürfen, während die Autos ihre Spuren links und rechts haben.

Blick von der VästerbronÜberall blühen Zilla und Krokusse

Von der hohen Västerbron hat man einen herrlichen Ausblick über den „Riddarfjärden“ und die Stadt. Leider hatte es sich inzwischen eingetrübt und das Licht war nicht mehr so schön wie am Vormittag. Eine seitliche Treppe hat mich von der Brücke auf die grüne und hügelige Insel Södermalm geführt, wo am Rand die Krokusse blühten. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich nicht einfach geradeaus am Ufer zurücklaufen kann, sondern auf der Insel Långholmen bin. Eine kleine Brücke führte mich dann weiter zur Insel Södermalm. Menschen, die Ausblicke und Treppen mögen, sind hier gut aufgehoben. Man kann oben auf kleinen Wegen die Hügel entlang spazieren oder auch unten direkt am Ufer die großen und kleinen Schiffe bewundern, die teilweise als Wohnung oder Hotel benutzt werden.

Häuser auf SödermalmHäuser auf SödermalmBlick auf Södermalms HausfassadenBlick vom südlichen auf den nördlichen Mälarstrand

Blick von Södermalm über Stockholm

Inzwischen fing es an, dämmrig zu werden und so bin ich ein bisschen zielstrebiger wieder in Richtung Hotel gelaufen, denn dort in der Nähe gab es einen Inder und ich hatte doch erst zweimal am Wochenende indisch gegessen … . (Es gibt keinen Inder in Skellefteå – ein großes Manko!). Der Weg führte mich über die Insel Stadsholmen, auf der die alte Stadt „Gamla Stan“ liegt und die kleine Insel Helgeandsholmen, die den Reichstag beherbergt am zentralen Sergelstorg vorbei zum Inder und dann wieder ins Hotel, wo ich auch diese Nacht wieder Motorrad-Burnouts, schlechtem Techno und Jungmännerhordengegröhle lauschen durfte.

Blick zurück auf SödermalmEine Gasse in der „Gamla Stan“Auf HelgeandsholmenSergels Torg

Heute morgen ist schönstes Abreisewetter: Grauer Sprühregen. Das macht den Abschied leicht, aber so oder so sehne ich mich ein bisschen nach meinen eigenen vier Wänden im beschaulich-ruhigen Skelleftehamn. Aber dennoch freue ich mich schon auf den nächsten Stockholmbesuch. Hoffentlich in diesem Jahr.

Punktlandung: Der Artikel ist fertig und ich habe noch fünfzehn Minuten bis zum Check-In. Das reicht, um das Laptop zuzuklappen, noch etwas zu trinken zu kaufen und zum Gate 43 zu schlendern.

Wieder zurück

Vom großen, großen Stockholm ging es heute wieder zurück nach Skellefteå. Ich habe mich wirklich gefreut, als ich am Gate 43 in Stockholm-Arlanda, wo ich auf den Flieger wartete, erst die Fotografin P, dann den Art Director N und schließlich noch S vom Diskussionsklub getroffen habe. So, als ob Gate 43 schon Teil von Skellefteå und man selbst schon halb zu Hause wäre.

Dann sitze ich neben S im Flieger – wir haben ohne Problem ein bisschen Plätze tauschen können – und kurz vor der Landung bricht die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf Bjuröklubb, die Ostsee und bald auch auf Skelleftehamn frei. Da wohne ich! Die Ostsee eisfrei, die Seen eisbedeckt und ein bisschen alter Schnee noch hier und dort. Schön!

Doch wirklich angekommen fühlte ich mich, als ich um sechs einkaufen war (warum ist denn der Parklatz so leer?) und mich der Verkäufer verwundert gefragt hat, ob ich denn kein (Eis-)Hockey schauen würde?! Ach ja, Skellefteå und sein Eishockeyverein AIK! Vielleicht das Einzige in der ganzen Kommune, auf das die Skellefteå-Einwohner richtig stolz sind. Nur ich schaue hier genau so wenig Hockey wie in Deutschland Fussball und wusste daher nicht, dass heute um fünf eines der Halbfinalspiele war. Aber wenn AIK wieder wie letztes Jahr schwedischer Meister wird, dann freue ich mich trotzdem.

Katzenkontemplation

Terrassenkatze

Heute auf meiner Terrasse: Starrt die Katze auf die Schneereste in meinem Garten? Oder geniesst sie einfach nur die wärmende Aprilsonne? Sie verriet es mir nicht und trottete bald davon.

Kühl und klar in Skelleftehamn

Herrlich blauen Himmel hat es heute den ganzen Tag gegeben. Und da ich schon sehr früh mit der Arbeit begonnen habe, war ich heute nachmittags draußen – das erste Mal wieder mit dem Fahrrad. Ich habe allerdings nach hundert Metern umgedreht und mir statt der Weste eine Jacke geholt, denn es sah wärmer aus als es mit etwa zwei Grad Plus wirklich war.

Dieses Mal bin ich in Richtung Rönnskär gefahren, vor allem, weil ich schauen wollte, ob der „Kejsar Ludvigs kanal“ schon eisfrei ist, denn dort kann man schön durchpaddeln. Im Gegensatz zu der noch komplett eisbedeckten Alternative Kurjoviken ist er tatsächlich eisfrei. Ich habe natürlich auch ein paar Fotos gemacht, war aber unzufrieden, weil die Sonne so grell war, dass auf dem einen Gegenlichtbild sogar ein Teil „ausgefressen“ ist, da sieht man nur noch eine weiße Fläche. Deswegen war ich heute Abend an den gleichen Stellen noch einmal und habe die gleichen Motive fotografiert, wenn auch teilweise aus anderen Winkeln.

Die Bucht Kurjoviken am NachmittagDie Bucht Kurjoviken am AbendEisscholle am NachmittagEisscholle am AbendMole am Nachmittag (leider ziemlich ausgefressen)Mole am Abend

Ich finde es zwar herrlich, bei knalleblauem Himmel und heller Sonne draußen zu sein, aber zum Fotografieren gefallen mir die Morgen- und Abendstunden besser. Leider heißt Morgenstunde jetzt schon um vier Uhr nochwas aufstehen und dazu bin ich nur manchmal bereit.

Fotospaziergang

Ein freies Wochenende. Und recht schönes Wetter. Zum Kajak zu faul. Also den Fotorucksack auf und einfach loslaufen. Und versuchen, andere Fotos zu machen, denn …

Gestern habe ich von der Insel Gåsören Fotos gemacht. Im Abendlicht. Mit weichen Wellen und rosa Wölkchen. Zu Hause habe ich mir die Fotos angeschaut und mich gefragt, was das soll. Denn dieses Motiv habe ich schon so oft fotografiert – morgens, mittags, abends, im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Zum Beispiel hier, hier, hier oder hier. Und ich war unzufrieden mit meiner Fotografiererei.

… also bin ich heute in den Wald gegangen, um mich ein bisschen herauszufordern. Denn ich finde es extrem schwierig, Fotos im Wald zu machen. Da ich aber vor dem Spaziergang beschlossen habe, vier Fotos zu zeigen, mache ich das auch. Bitteschön:

SchneekieferFrühlingsinselBirkenwandWegmarkierung

Ja, höre ich Euch rufen, nette Fotos, aber: Wo ist der Wald!? Ihr habt recht, ich habe zwar Motive im Wald fotografiert, aber nicht den Wald an sich. Wald motiviert mich einfach weniger zum Bilder machen. Warum das so ist, frage ich mich schon seit langem. Als ich heute hinter dem erhöht stehenden neuen Wasserturm über einige Felsen lief und Ausblick hatte, kam die Erleuchtung: Ich mag es, weit zu schauen! Über das Meer, die Hochebenen des Kahlfjälls, große Seen oder auch über eine hügelige Waldlandschaft. Dichter Wald ist einfach – rein optisch betrachtet – nicht so mein Ding. Versteht mich nicht falsch, ich liebe es, durch den Wald zu Laufen, den Klang des ersten Frühlingsregenschauers, den federnden Sommerboden, den Duft der Pilze im Herbst, aber wenn es ums Schauen geht, dann liebe ich den freien Blick.

Zwei Fotos vom Wald zeige ich doch noch. Das besondere am nächsten Bildpaar ist, dass sie vom gleichen Ort gemacht wurden, ich habe das Spätwinterbild gemacht, mich auf der Stelle umgedreht und dann das Frühlingsbild gemacht.

SpätwinterwegFrühlingsweg

So sieht es momentan auf in Skelleftehamns Wäldern: An manchen Stellen komplett schneebedeckt, an anderen Stellen barer Waldboden. Zwischen den Jahreszeiten.

Ich bin von meinen Aussichtsfelsen hinter dem Wasserturm abgestiegen und unter der Straße 372 nach Skellefteå durch zum Fluss Skellefteälven weitergelaufen. Dort fand ich es sofort leichter, Motive zu finden, zum Beispiel diese Holzgerippe, die ich von der anderen Seite vom Kajak aus schon gesehen habe aber keine Ahnung habe, was dies wohl ist. Ich tippe mal auf eine alten Bootsanleger, vielleicht für ein Sägewerk oder ähnliches.

Holz-Dingbums am FlussHolz-Dingbums am Fluss

Zum Schluss noch ein paar Fotos von heute, man könnte sagen „Aus jedem Dorf ein Hund“, denn jedes Bild steht ein bisschen für sich selbst und mit keinem anderen im Zusammenhang.

Gewusel auf allen AmeisenhaufenHolzbank am WasserturmMinihütte auf Miniinsel im FlussHej :-) – ein freundliches Graffito

Ich werde weiterhin So-sieht-es-gerade-in-Nordschweden-aus-Fotos machen. Aber nicht nur. Ich werde mir einige Themen stellen und dazu Bildserien machen. Ob ich die dann hier oder auf einer eigenen Webseite zeige, das weiß ich noch nicht.

Alltag: Ein Aprildienstag

Heute vor drei Monaten habe ich über einen Alltag geschrieben: Alltag: Ein Januarmittwoch. Da könnte ich doch wieder einen Artikel schreiben dachte ich und das mache ich jetzt. Fotos gibt’s heute aber keine.

Zur Zeit wache ich immer recht früh auf, da die Sonne schon um fünf aufgeht und das Licht es immer irgendwo schafft, sich an meinen schwarzen Schlafzimmervorhängen vorbeizuschmuggeln. Aber aufwachen heißt ja nicht aufstehen und so verlasse ich das Bett gegen sieben. Ich schaue aus dem Fenster und stutze. Nicht, weil blauer Himmel ist, das haben wir gerade öfters, sondern weil auf Terrasse und Rasen neuer Schnee liegen. Ein Wintereinbruch? Wohl eher nicht, denn die überraschenderweise in der Nacht gefallenen Flocken reichen nicht ansatzweise aus, um den Boden wieder zu bedecken und die Sonne beginnt schon, sie wieder wegzuschmelzen.

Frühstück: Leider ist mein geliebtes A-Fil alle, welches ich immer statt Milch zum Müsli esse. Aber zum Glück ist noch Graved Lachs und Toast da, ein guter Ersatz. Viertel vor acht fahre ich in die Stadt. Rechts—links—rechts und ich bin auf dem Näsuddsvägen. Links die Bucht Killingörviken und bei der Brücke rechts der kleine Bootshafen. Heute war der erste Tag, wo das Eis im Bootshafen so weit zurückgegangen ist, dass ich dort mein Kajak einsetzen und aufs Meer fahren könnte. Der Bootshafen ist keine zehn Gehminuten von mir entfernt und ich hätte schon Lust, jetzt das windstille Sonnenwetter zu einer Paddeltour zu …

… wo bin ich, ach ja, auf dem Weg zur Arbeit. Ich bin als erster da, kurz darauf trudeln meine Kollegen ein. Ich bin bei einigen Meetings dabei, schreibe Migrationsskripte, verbessere APIs und wandele Exceptions in json um – was man eben so als Programmierer tut. Ein kurzes gemeinsames Wer-macht-gerade-was-Meeting, welches wir jeden Tag machen (ein bisschen wie Scrum) und dann geht es zum Mittagessen.

Verlassen wir die Welt der komischen Programmiererfachausdrücke und widmen uns dem „Dagens Lunch“, dem Essen des Tages, welches es mittags in jedem Restaurant gibt. Für 80 bis 100 Kronen bekommt man meistens ein warmes Buffet mit zwei Gerichten, Salat, Brot, Wasser oder Zuckergetränk und anschließend Kaffee. Mit dem „Allstar“ treffen wir heute allerdings eine schlechte Wahl: Die Küche scheint völlig überfordert, die meisten Schüsseln sind leer, eine Mitarbeiterin weiß nicht einmal richtig, was es gibt und das Essen selbst ist auch eher unter der Rubrik „Macht satt“ als „Schmeckt gut“ einzuordnen. Wir haben schon einige schlechte Erfahrungen im Allstar gemacht und waren ewig nicht mehr da. Unsere Idee, diesem Restaurant heute mal wieder eine Chance zu geben, mag ehrenhaft gewesen sein, aber leider nicht von Erfolg gekrönt.

Nach dem Mittagessen gehe ich nicht mit den anderen ins Büro zurück, sondern statt dessen zum „Skatteverket“, dem Finanzamt. Dort habe ich einige Fragen, unter anderem zur Abschreibung von Wirtschaftsgütern, die ich auch schnell beantwortet bekommen habe. Doch dann stelle ich noch eine Frage zum Thema Moms, der schwedischen Mehrwertsteuer und alleine die bloße Benutzung des Wortes „Moms“ bringt alle Berater zum Erbleichen. Ich bekomme aber wenig später ein Telefon in die Hand gedrückt und darf mit einem Experten reden, der mit meine Fragen beantwortet, auch wenn ich mit einer Antwort sehr unzufrieden bin. Aber so ist das eben mit den Steuersystemen.

Wieder im Büro sitze ich wieder am Rechner (etwa ein Drittel der Zeit stehe ich, denn mein Tisch ist höhenverstellbar), doch heute gehe ich schon um Schlag halb fünf und fahre mit dem Auto auf die andere Flussseite. Dort habe ich eine Verabredung mit T. bei sich zu Hause.

Nächste Woche werden es vier Jahre sein, die ich in Schweden lebe. Eine recht lange Zeit. Auch, was meine Möglichkeiten, die Sprache zu lernen, angeht. Ich will mich nicht beschweren, denn ich verstehe fast alles, kann problemlos Bücher lesen und auch alles sagen, was ich will. Aber ich fühle mich immer noch ein bisschen ungelenk und tollpatschig und möchte einfach weiterkommen. Und so habe ich T. vor einiger Zeit gefragt, ob er sich vorstellen könne, mir Schwedischunterricht zu geben. Und das konnte er. Heute ist das erste Treffen, noch weniger Unterricht als ein gemeinsames Ausloten, was ich für Wünsche und Ziele habe. Wir werden wohl viel mit Aussprache arbeiten, denn Vokabeln und Grammatik fand er schon recht gut. Ich freue mich sehr, dass ich jetzt mit der Sprache wieder etwas weiterkomme.

Nebenbemerkung: Wenn ich mit dem Schwedischen zufrieden bin, dann will ich bei T. russisch lernen, denn das kann er auch fließend. Er war es auch, der unserem Chor gezeigt hat, wie man den Rachmaninov richtig ausspricht.

Danach fahre ich zur Musikschule, denn dort ist von sechs bis sieben Oktettprobe und dann direkt anschließend Probe mit dem Kammerchor bis neun. Tja, Oktettprobe – auch so ein Ding …

Am zehnten Mai wird in Skellefteå ein Chorereignis namens „Körmanifestationen“, wo tausend Chorsänger zusammen singen und so ein gemeinsames Konzert geben, stattfinden. Teilweise mit Band, teilweise „a capella“, also ohne instrumentelle Begleitung. Und da bin ich vor ein paar Wochen gefragt worden, ob ich Oktett bei der Körmanifestation mitsingen wollte. Ich dachte – nun ja, ein kleiner solistischer Teil, wo jede Stimme doppelt besetzt ist, warum nicht. Später ging es um Probentermine und ich fragte, welches Stück ich denn üben soll. „Na, alle!“, war die Antwort. „!?!??!“, dachte ich, denn manchmal verstehe ich ja auch etwas nicht ganz richtig. Es stellte sich dann heraus, dass wir acht Sänger Mikrophone bekommen und mit unserem Gesang die tausend anderen Chorsänger beschallen, damit die wissen, wo es langgeht. Meine ersten Gedanke waren: „Olaf, Du blöder Idiot! Warum hast Du nicht vorher gefragt, worum es geht! Was hast Du da schon wieder angenommen! Wann sollst Du dafür üben? Alle hören Deine schlechte schwedische Aussprache! Wann lernst Du mal, Nein zu sagen?!“ Die erste Oktettprobe vor zwei Wochen hat allerdings so einen Spaß gemacht, dass ich mich jetzt freue, dabei sein zu dürfen. Und – Synergieeffekt nennt man so etwas ja heute – die Aussprache kann T. nächste Woche bei meiner nächsten Schwedischstunde verbessern. Prima das!

Drei Stunden Chorprobe, das macht Spaß, ist aber auch anstrengend, zumal mein Abendbrot nur aus einer Banane bestand. Um kurz nach neun sitze ich wieder im Auto, dieses Mal auf dem Nachhauseweg nach Skelleftehamn. Blaue Stunde, im Rückspiegel sehe ich noch die Dämmerungsfarben und vor mir hängt honiggelb ein riesiger Vollmond dicht über dem Horizont. Nur einen Zwischenstopp mache ich noch, ehe ich zu Hause bin: Der Lebensmittelladen Coop in Ursviken hat bis zehn Uhr geöffnet und dort bekomme ich mein geliebtes A-Fil. Nicht nur für das nächste Frühstück, sondern auch für ein spätes zweites Abendessen.


„Um Himmels Willen!“, frage ich mich – mache ich wirklich immer so viel? „Nein, zum Glück nicht – glaube ich.“ beantworte ich mir diese Frage, denn es gibt auch Tage, wo ich nur arbeiten gehe und dann abends noch eine DVD schaue oder ein bisschen Klavier spiele.

Ich nehme mir jetzt vor, genau in einem Monat wieder vom Alltag zu schreiben. Vielleicht klappt es dann, denn zumindest bis jetzt ist „Müllabfuhr“ mein einziger Kalendereintrag für den 15. Mai.

Osterbesuch

Kann man bei drei Jahren schon von Tradition sprechen? Wenn ja, dann ist es bei mir Tradition, die Ostertage zu Hause zu sein und hauptsächlich nichts zu tun. Und dann habe ich diese Tradition dieses Jahr gebrochen, als ich Elisabet in Umeå besucht habe.

Auf der Hinfahrt habe ich mir Zeit gelassen und bin mit dem Auto ab Sikeå die kleinen Wege gefahren. Gleich bei „Hemmesmarken“ habe ich angehalten, weil ich über das schöne Schild „Gammellandsvägen“ – sozusagen „Der alte Landsweg“ – gestolpert bin. Von dort aus konnte man schnell auf die bewaldeten Granitfelsen klettern. Dort hätte ich noch lange umherlaufen können, aber ich wollte ja nach Umeå.

Der „Gammellandsvägen“Fels und Wald

Wasserlache auf dem Granitfels

Über kleine Waldwege bin ich weitergefahren. Einige waren so weich vom Tauwetter, dass sich tiefe Spurrillen gebildet haben, denen mein Auto mehr als meinen mehr oder minder kunstvollen Lenkmanövern gehorcht hat. Aber trotz meiner Befürchtungen mich festzufahren ging es doch immer weiter. Den kleinen vereisten Schneerest auf dem nächsten Bild habe ich an der kleinen Bucht von Storsand nördlich von Ratan gefunden.

Schneerest am Meer

Ich hatte fast damit gerechnet: inzwischen habe ich so viel Zeit vertrödelt, dass ich spät dran war. Deshalb bin ich ohne weitere Zwischenstopps weiter nach Umeå gefahren, wo Elisabet und ich dann einen langen Spaziergang um den schönen See Nydalasjön gemacht haben.


Am nächsten Tag sind wir zusammen mit J. in das Naturreservat „Strömbäck-Kont“ gefahren, welches nicht nur alte Wälder, klare Seen, blanke Felsbuckel mit Meerblick und kleine Sandbuchten bietet, sondern auch viele Wanderwege, einen kleinen Bootshafen, der noch im Winterschlaf war und Grillplätze. Nach einer größeren Zickzackrunde sind wir wieder an der ersten Grillstelle angekommen, wo wir das große Glück hatten, von einer aufbrechenden Familie eine Feuerstelle übernehmen zu können. Während Elisabet schon einmal neues Feuer machte, sind J. und ich zum nahen Parkplatz gelaufen, um den Proviant zu holen. Das Menu: Dreierlei Wurst, Stockbrot – (schwedisch: pinnbröd)und geschmorte Schokobanane. Und selbst wenn pinnbröd rein kulinarisch nicht der größte Genuss sein mag, so macht es doch schon großen Spaß, seinen Holzspieß in ein Stück Wurst zu rammen oder mit Teig zu umhüllen und dann über das Feuer zu halten. Und danach hatte ich auch ein bisschen Zeit, auf den glattgeschliffenen Felsen herumzulaufen oder den großen sich brechenden Wellen am Felsstrand zuzuschauen.

Wurst schmort über offenem FeuerNeues Feuer für die Schokobananen„Upside down“ – SpiegelungBrandung an den Klippen vor Kont

Heute am Ostersonntag habe ich mich auf den Rückweg gemacht. Während es in Umeå noch bewölkt war, konnte man im Norden schon blauen Himmel ahnen und bald kam auch die Sonne heraus. Am See Högfjärden habe ich noch ein letztes Foto geschossen, ehe ich mich nach Hause gefahren bin um dort das zu tun, was ich auch die letzten drei zu Ostern hauptsächlich gemacht habe:

Nichts.

Letzte Eisreste auf dem See Högfjärden

Frühlingspaddeln

Heute habe ich zum ersten Mal mein Kajak wieder zum Strand von Storgrundet gezogen, denn auch dort ist das Meer seit kurzer Zeit eisfrei. Storgrundet hat als Startpunkt die Vorteile, dass man nur eine viertel Stunde läuft, einen herrlichen kleinen Sandstrand zum Kajak hineinschieben hat und dann sofort draußen ist und nicht erst noch an der Industrie der Halbinsel Rönnskär entlang paddeln braucht. Bald saß ich im Kajak, ließ das Steuerruder herunter und paddelte durch den kleinen Durchlass zwischen Festland und der Nordwestspitze der Insel Storgrundet. (Ja, es ist etwas verwirrend, sowohl der Strand am Festland als auch die Insel heißen Storgrundet.)

TourstartSelbstportraitAuf dem MeerVielleicht nach Medgrundet?

Heute bin ich in Richtung offenes Meer gefahren, denn Medgrundet lockte am Horizont. Eigentlich war mir die Insel mit drei Kilometern ein bisschen weit weg, denn selbst, wenn es so ruhig und windstill wie heute ist, dann frage ich mich immer, was passieren würde, wenn ich ins Wasser plumpse. Auch wenn die Sonne warm sein mag, das Wasser ist ja immer noch eiskalt. Deswegen würde ich zu dieser Jahreszeit nie alleine drei Kilometer weit aufs offene Meer paddeln.

Doch auf halber Strecke liegt die Insel Själagrundet, die eigentlich nur ein großer, von Möwen bewohnter Steinhaufen ist und das Meer war ja ruhig. Also habe ich mich auf den Weg gemacht. Doch kurz vor Själagrundet wurden die Wellen zappeliger und da der gebraucht gekaufte Trockenanzug, den ich heute anhatte, nicht komplett dicht ist – die eine Armmanschette ist kaputt – bin ich zwar noch nach Själagrundet gefahren, dann aber nicht weiter hinaus gepaddelt, sondern nach links zur Insel Djupskäret abgebogen, wo ich eine kleine Pause gemacht habe.

Am Ufer von Djupskär

Blick auf MedgrundetPause in der Frühlingssonne

Weiter bin ich in Richtung Harrbäckssand, einer flachen Bucht mit Sandstrand gepaddelt und auch dort wollte ich eine Pause machen. Das war gar nicht so leicht, in Richtung Ufer zu kommen, denn das Wasser ist auf weiter Strecke keine 30 Zentimeter tief. Also bin ich zum Schluss ausgestiegen, habe das Kajak auf eine kleine Kiesbank gezogen, die Kamera geschnappt und bin durch das flache Wasser ans Ufer gewatet.

„Schlurp!“ sagt der Boden und verschluckt mich. Ich stecke plötzlich bis zur Hüfte in einem grauen Schlickloch. Ich weiß zwar, dass der Untergrund vor Harrbäckssand teilweise ein bisschen lehmig ist, aber man überall laufen kann. Eigentlich! Vielleicht habe ich das einzige Schlickloch weit und breit gefunden, es würde passen. Schnell mache ich noch ein Foto fürs Blog, ehe ich mich wieder aus dem Schlick befreit habe. Das war nur eine Sache von Sekunden, denn das Zeugs war weich und rundherum war der Boden ja hart. Die nächste Viertelstunde war ich damit beschäftigt, den Anzug wieder sauber zu bekommen. Gar nicht so leicht, wenn das Wasser so flach und der Schlick so anhänglich ist.

Später sehe ich, dass Gewebematten unter der vermeintlichen Kiesbank hervorschauen. Vermutlich ist das Problem bekannt und man hat früher schon versucht, den Boden zu stabilisieren. Ich habe eine Mail an die Kommune geschrieben, mal schauen, ob die etwas unternehmen.

Bis zur Hüfte im SchlickSchlicküberzogen

Nachdem die Hosenbeine wieder mehr nach gelbem Nylon als nach grauem Schlamm aussahen, bin ich weitergepaddelt. Längst schon war es so warm, dass ich die Mütze nicht mehr auf dem Kopf hatte und die Neoprenhandschuhe unter einem der Gummizüge des Kajaks klemmten. Möwen kreisten leicht empört über mir – was, bitte schön habe ich auf ihrem Meer zu suchen?! – und die Sonne schuf gemeinsam mit den kleinen Wellen bizarre Muster auf dem sandig-welligen Meeresufer. Ich finde, dass das Unterwasserbild, bei dem ich die Kontraste stark erhöht habe, eher wie ein fremder Planet als wie die nordschwedische Ostsee aussieht.

Meeresboden

Nun musste ich nur noch geradeaus paddeln und zum ersten Mal überhaupt hatte ich den Eindruck, dass meine Bewegungen im Fluss sind und das Paddeln gar nicht mehr anstrengt. Das liegt natürlich auch daran, dass ich nicht mehr den dicken roten Neoprenoverall anhatte, der sich jeder Armbewegung widersetzt. Als ich wieder am Strand von Storgrundet ankam, hatte ich noch nicht genug. Nach einer kurzen Pause habe ich deswegen das Kajak wieder ins Wasser geschubst und bin noch um die Insel …

+++ Eilmeldung: Gerade eben ist Skellefteå AIK wieder schwedischer Eishockeymeister geworden. Nach 3–0, 6–2, 8–1(!) hat AIK gerade 3–0 gegen Färjestad BK gewonnen. Jetzt ist bestimmt ganz Skellefteå im Siegertaumel – wie schon im letzten Jahr +++

… also, ich bin noch um die Insel Brambärsgrundet gepaddelt. Dort ist das Wasser noch flacher und geschützter als zwischen Storgrundet und Festland und dort habe ich auch noch die letzten kleinen Eisschollen gefunden.

Die letzten kleinen Eisschollen

Als ich zu Hause ankam war T-Shirt-Wetter: 16 °C im Schatten, der erste warme Tag. Und wem das nicht reicht: Die Sonne hat meinen Wintergarten auf 28 °C aufgeheizt. Hochsommertemperaturen!

Sssssssssssssssss…

Die erste MückeDa sitzt man friedlich auf der Kolzkiste, das Abendbrot fast fertig gegessen, und schaut ein bisschen YouTube, da hört man plötzlich ein leises, hohes Sirren, welches aus einer völlig anderen Richtung zu kommen scheint als aus der meiner Lautsprecher.

Ich wende mich nach links und sehe an der Wand die erste Mücke des Jahres. Ich pirsche mich an sie heran aber ehe ich ein Foto, mit dem ich zufrieden bin, machen kann, schwirrt sie schon in Richtung CD-Regal. Und dort findet eine kleine Mücke viele gute Verstecke.

Ob es eine Stechmücke ist, ein blutrüstiges Weibchen oder ein vegetarisches Männchen, ich weiß es nicht. Nach Stechrüssel sieht dieses Gebilde, welches sie da im Gesicht hat ja nicht aus, aber wenn ich mir das Photo ganz genau anschaue, dann finde ich, dass die kleine Wampe dieses Insekt verdächtigt ins Rote spielt.

Nachtrag

Während ich den Artikel schreibe, sirrt es wieder. Will die Mücke etwas von mir, ist sie auf Durchreise oder schaut sie sich skeptisch das Photo auf dem Bildschirm an? Vielleicht letzteres, denn sie setzt sich noch mal adrett an das kleine weiße Regal und lässt sich ablichten. Sie hält fein still und ich fotografiere höflich von rechts, wo man ihr nicht ganz so ansieht, dass das linke Hinterbein fehlt. Viel besser werden diese Fotos leider auch nicht.

Also, liebe Stechmücken, die Jagdsaison ist eröffnet. Aber Du, liebe fünfbeinige Model-Mücke, hast bei mir Asyl.

Ein zweites Mückenbild

Die dritte Kajaktour

Fünf Uhr morgens: Die Helligkeit weckt mich. Ich blinzele durch die Jalousien auf klaren Himmel und weiß: Jetzt sollte ich die Kajaktour machen, wenn ich schönes Licht zum Fotografieren haben möchte. Es sind nicht die drei Grad minus, die mich davon abhalten, aufzustehen, sondern mein innerer Schweinehund, der mit zwei Doppelzentnern auf meinem Bauch liegt und mich nicht aus dem Bett lässt.

Acht Uhr morgens: Die Helligkeit weckt mich wieder. Ich blinzele durch die Jalousien auf klaren Himmel und weiß: Jetzt kann ich mir Zeit lassen, denn das warme Morgenlicht ist eh weg und schönes Wetter ist es sowieso.

Ich hole die Neoprenschuhe aus dem Wintergarten. Dort stehen auch meine Skier. Die Tourenski mit den Stahlkanten und die ewig langen Holzski für Wald und Tiefschnee. Ganze drei Mal habe ich diesen Winter auf Skiern gestanden. Das ist definitiv zu wenig. Das will ich nächsten Winter anders machen, selbst wenn er wieder so kurz ist wie dieser. Aber bis dahin dauert es noch mindestens ein halbes Jahr und ich bringe die Skier in die Garage. Weg damit – jetzt Frühling bitte!

Irgendwann so um halb zehn: Ich stehe draußen, das Kajak auf dem Bootswägelchen festgezurrt und treffe meine Nachbarn. Ein dumpfes Grollen lässt uns innehalten. „Was war das“ – fragt sie. „Tåme“ – sagt er. Tåme, das ist weiter nördlich, etwa 35 Kilometer Luftlinie und dort übt das schwedische Militär schießen. Man hört es bis hierhin.

Bald schiebe ich das Kajak am Strand von Storgrundet ins Wasser und paddele los. Immer wieder höre ich die dumpfen Schläge der Schießübungen, so laut, dass ich meine, die Druckwellen auch am Körper zu spüren.

Weiter paddele ich. Nun ist es ruhig. Haben die Soldaten fertiggeknallt oder halten sie nur Fika, die schwedische Kaffeepause? Storgrundet liegt inzwischen hinter mir. Rechts liegen die Außenseiten der Inseln Norrskär und Bredskär, Gråsidan und Nygrundet, links nur das Meer und weit der Horizont.

Gråsidan und Nygrundet voraus

Wie weit weg wohl der Horizont ist? Die Insel Skötgrönnan kann ich mühelos sehen. Sie ist elf Kilometer entfernt, verrät mir zu Hause die Seekarte. Ich bin erstaunt, dass ich vom Kajak, gerade einen Meter über dem Meeresspiegel, doch so weit schauen kann.

Nygrundet ist die östlichste Insel vor Skelleftehamn. Ich fahre um sie herum und habe Wind und Sonne im Rücken. Ich lasse mich ein bisschen treiben. Auch die Gedanken treiben. Das geht gut auf dem Meer. Bald nähere ich mich Bredskärs Innenseite, dort, wo Nachbarn ihr Sommerhaus haben. Und richtig, meine Nachbarin ist da und wir unterhalten uns, sie auf dem Bootssteg stehend, ich im Kajak sitzend. Nach zehn Minuten verlegen wir unser Gespräch auf die Terrasse, wo ich natürlich – wir sind in Schweden – zu einem Kaffee eingeladen werde. Nach kurzer Zeit verabschiede ich mich aber, denn mir wird kalt in meinen klammen Klamotten unter dem Trockenanzug, der weit davon entfernt ist, atmungsaktiv zu sein.

Karte und Kompass sind immer dabeiNygrundet – wo ist das Haus?

Ein Stück paddele ich noch, sehe die Kanadagänse mich misstrauisch beäugen, sehe einen Mann bauchtief im Wasser stehen, er richtet seinen Bootssteg, der vermutlich im Winter an Land lag, damit er vom Eis nicht zerstört werde. Ich sehe Gänsesäger, die immer ein bisschen wie Punk-Enten aussehen und viele Möwen. Nur eines sehe ich nicht mehr: Eisschollen.

Vor dem Strand von Storgrundet ziehe ich am Seilzug, der mein Steuerruder aus dem Wasser hebt und nehme Anlauf. Mit Schwung landet das Kajak auf dem Sandstrand. Bald ist das Boot wieder auf seinem Wägelchen festgezurrt und ich laufe nach Hause. Aber nicht direkt, denn auch B., der sein Sommerhaus um die Ecke hat, lädt mich noch zu einem Kaffee ein.


Ausgelöst durch die Schießübungen enthielt dieser Artikel ursprünglich einige Gedanken zum Konflikt in der Ukraine und andere recht persönliche Gedanken. Beim Lesen hatte ich aber den Eindruck, dass sie zu unausgegoren für eine Veröffentlichung im Blog sind. Daher habe ich die Textteile wieder entfernt. Vielleicht nehme ich mir irgendwann mal Zeit, ein bisschen über andere Themen als Ich-In-Schweden zu schreiben. Ob das dann hier oder in einem neuen Blog sein wird, weiß ich noch nicht.