Gestern stand die Polarlichtvorhersage auf „5 – High“ und klarer Himmel sollte auch sein. Perfekte Bedingungen, um nach der Arbeit zur Insel Gåsören zu paddeln und dort zu übernachten. Um drei habe ich das Büro verlassen, bin nach Hause gefahren und habe gepackt. Und gepackt.
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Meine bange Frage: passt das alles in mein Kajak? Ich habe noch nie mit meinem Kajak eine Zweitagestour unternommen, doch zu meiner großen Überraschung passte alles in die beiden Luken des Bootes, nur der Fünfliterkanister Wasser fand hinter dem Sitz Platz. Und so konnte ich bald in See stechen, an den Inseln Storgrundet, Bredskär und Flottgrundet vorbei paddeln und Kurs auf Gåsören nehmen.
Eine Stunde später war ich da, denn wirklich weit weg ist Gåsören nicht. Nun musste ich als erstes einen Zeltplatz suchen, bevor es dunkel wird. Ich war nicht sicher, ob es überhaupt irgendwo eine plane Fläche gibt, denn Gåsören ist im Grunde ein großer bewachsener und bebauter Steinhaufen. Eine erste Möglichkeit: der sandige Spielplatz am Hafen, Schaufel und Förmchen inklusive. Nicht schön, aber machbar. Der Inselrundgang hatte erst nichts ergeben, doch zum Schluss habe ich einen fast steinfreien Platz mit Feuerstelle gefunden, da war ich bestimmt nicht der erste, der dort sein Zelt aufgeschlagen hat.
Nun war das Abendessen dran. Ich hatte noch eine norwegische Tüte „Turmat“ – Tourenessen mit Chili con Carne und meinen kleinen Gaskocher dabei. Das „Kochen“ geht schnell: Wasser kochen, in die Tüte giessen, Tüte wieder verschließen, fünf Minuten warten (da kann man ja fotografieren), fertig. Nun ja – ich glaube, dass das Tütenessen wesentlich besser schmeckt, wenn man ausgehungert darüber herfällt. Aber es war warm und machte satt. Und mit einem schönen kleinen Feuer ist das ganze richtig gemütlich, zumal es noch recht warm war. (Ich sehe ein bisschen verkrampft aus auf dem Foto, schließlich darf ich mich vier Sekunden lang nicht bewegen.)
Nur das Wetter spielte nicht richtig mit. Der ganze Himmel war bewölkt und selbst der helle Mond konnte sich nur ab und zu mal durch eine kleine Wolkenlücke sichtbar machen. Deswegen bin ich ins Zelt gegangen und habe mich schlafen gelegt. Ich kann ja später gucken, ob das Wetter besser wird. Einen Wecker brauchte ich dafür nicht, denn in der ersten (und hier einzigen) Zeltnacht schlafe ich nie besonders gut, selbst wenn ich so luxuriös viel Platz habe wie dieses Mal.
Ich wache auf, das Handy zeigt 0:52. Es scheint heller draußen als vorhin. Ich öffne die hinteren Reißverschlüsse und luge hinaus. Der Mond ist sichtbar, auch einige Sterne, doch der halbe Himmel hängt voll Schleierwolken. Richtig klar ist es also nicht. Schade! Ich stehe aber dennoch auf, um ein paar Nachtaufnahmen zu machen. Oben herum Daunenjacke, denn wenn ich müde bin, friere ich leicht, aber unten herum barfuß in Sandalen, denn soo kalt ist es auch wieder nicht. Das sieht bestimmt lustig aus.
Ich stelle das Stativ auf und mache ein Foto direkt neben dem Zelt.
Ich gehe los und merke, dass die eine Schleierwolke am Südhorizont zu verschwinden scheint. Nun schaue ich genauer und sehe, dass der ganze Himmel nicht mit Wolken, sondern mit fahlem Polarlicht bedeckt ist, vom Nord- bis zum Südhorizont. Das Licht ist so fahl, dass es farblos zu sein scheint, die sonst typischen Grüntöne sind kaum wahrzunehmen, nur die Kamera zeigt sie, denn die nächtlichen Langzeitbelichtungen verstärken die Farben. Zwei Stunden wandere ich in dem vorderen Teil der Insel umher und fotografiere. Die Aurora wird tatsächlich ein bisschen stärker, aber richtig deutlich wie vor zwei Wochen wird sie nicht mehr. Aber einige Fotos werden doch recht schön, denn auf der Insel gibt es einfach schöne Motive.
Eine der kleinen Angenehmlichkeiten Gåsörens ist das „utedass“, das Plumpsklo. Meistens liegen auf einem utedass Zeitschriften und oft hängen an den Wänden kleine Natur- oder Landschaftsfotos. Hier gibt es gleich zwei nebeneinander. Als ich die linke Tür aufmache, lächelt mir von den Fotos kein Rentier, sondern der Adel entgegen. Das ist Grund genug, ein Foto zu machen. Als ich die Tür wieder schließe, sehe ich eine holzgeschnitzte Frauenfigur an der Tür. Oops – hier gibt es tatsächlich Klos nach Männlein und Weiblein getrennt. Das habe ich in Schweden noch nie erlebt, erst recht nicht beim utedass! Neugierig mache ich nun die rechte Tür zum Männerklo auf und erwarte Fotos von Traktoren oder Schneemobilen, doch nein, die Herrentoilette ist karg und hat kein einziges Foto an den Holzwänden. Wie langweilig!
Um drei gehe ich wieder ins Bett. Es ist kühler geworden und irgendwann mache ich den Schlafsack, den ich bis jetzt nur als Decke verwendet habe, zu. Kurz vor Sonnenaufgang wache ich wieder auf. Ich könnte jetzt (A) herausgehen und Morgendämmerungsfotos machen oder (B) weiterschlafen. Ich entscheide mich für B (sorry, liebe Leser) und schlafe bis acht Uhr so gut wie durch.
Den Tag beginne ich mit einem Frühstück: Graved Lachs und auf Feuer frisch geröstetem Ökoroggenbrot. Um Längen besser als das Abendessen. Auch wenn die Luft noch kühl ist, die Sonne wärmt schon.
Ich hänge den Schlafsack auf das Zelt zum Trocknen und laufe auf der Insel herum: Manche Birke und Eberesche trägt Herbstfarben – hunderte Fliegenpilze sprießen im Wald aus dem Boden – Holzwürmer haben geheime Zeichen in den alten Baumstamm geschrieben – Tausend gespiegelte Sonnen glänzen auf dem Meer – ein Bootssteg lädt zum Verweilen ein – ein Glücksbringer hängt an einem alten Stück Mast am Strand.
Ich treffe die Besitzer einer der beiden Stugas, später beginnen erste Boote in dem kleinen Hafen anzulegen. Ich habe kurz überlegt, noch eine weitere Nacht zu bleiben, doch mir fehlen Essen und mein Buch und so mache ich nur noch ein kleines Abschiedsfeuer zum Rösten des restlichen Brotes, verstaue alles wieder im Kajak und paddele gemütlich und mit Rückenwind über die glatte, sonnenbeschienene Ostsee.